Kinder ohne Zukunft

Die Geschichte der Kinder und Jugendlichen, die im Rahmen der NS-Euthanasie ihr Leben verloren haben, ist bis heute kaum untersucht worden. Das Projekt widmet sich dieser bis heute nachwirkenden Ideologie und gibt den Patienten ein Gesicht. Dabei werden auch die Täter in den Blick genommen sowie die „stillen Helden“, die sich gegen die Euthanasie stellten.

Kinder ohne Zukunft

In der neuesten Geschichtsdidaktik stehen emotionale, persönliche Zugänge im Vordergrund, um Geschichte erleb- und nachvollziehbar für die Lernenden zu gestalten. Hierbei soll es nicht um Identifikation mit den betrachteten Persönlichkeiten gehen, sondern um einen individuellen, biographischen Zugang, welcher nicht lähmend, sondern als Handlungs- und Reflektionsgrundlage zukünftiger Entscheidungen zu sehen ist. Biographische Arbeit nimmt hierbei eine zentrale Stellung ein. Insbesondere, wenn sich Lernende eigenständig forschend mit Biographien auseinandersetzen können, ergibt sich ein großes motivationales Potential zur Reflektion zentraler Bausteine der Geschichte. Im Rahmen des Projekts „Kinder ohne Zukunft“ soll die Tötung von Kindern und Jugendlichen im Nationalsozialismus durch die NS-Euthanasie biographisch erarbeitet werden. Das NS-Euthanasie-Programm hat zudem noch heute schwerwiegende Konsequenzen auf aktuelle gesellschaftliche Diskussionen, wie z.B. im Rahmen der Sterbehilfe. Die der Euthanasie zugrundeliegende Ideologie hinsichtlich der Abwertung des Lebens in „lebensunwert“ führt in der Entwicklung der Demokratie in Deutschland nach 1945 unmittelbar auf die im Grundgesetz Artikel 1 formulierte unantastbare Würde jedes Einzelnen. Dieser für die Jugendlichen wenig fassbare Begriff der „Würde“ gewinnt durch die Auseinandersetzung mit dem NS-Euthanasie-Programm an Bedeutung, wird als Errungenschaft unserer Demokratie und somit als schützenswert erkannt.
Die Geschichte der Euthanasie-Opfer im Nordwesten Deutschlands ist kaum untersucht und mehr als 90 % der vorhandenen Krankenakten nicht gesichtet. Historisches Neuland wird somit mit diesem Projekt betreten und echte geschichtliche Forschung angestrebt. Den „Kindern ohne Zukunft“ ein Gesicht zu geben, ist aufgrund des Altersbezugs der beteiligten Jugendlichen motivierend. Die Bedeutung und Authentizität der eigenen Forschung wirken sich zusätzlich positiv aus.
Die Projektskizze enthält Impulse und Ideen der SchülerInnen, so z.B. hinsichtlich medialer Nutzung und angestrebter öffentlicher Diskurse. Neben der angestrebten Zusammenarbeit der Jugendlichen aus Polen und Deutschland sei aber auch der inklusive Ansatz des Projekts (so u.a. durch das gemeinsam erstellte Kunstwerk) erwähnt. Dies stellt einen deutlichen Kontrast zur Negation der Inklusion bzgl. der Euthanasie dar. Module des Projekts hinsichtlich Mediennutzung und inklusiver Arbeit sind bereits erprobt worden. Abschließend sei auch das große Netzwerk außerschulischer Projektpartner genannt, die die Inhalte durch Authentizität bereichern werden. Die enge Zusammenarbeit mit universitären Institutionen unterstreicht darüber hinaus den hohen Anspruch des Projekts und bildet zugleich eine „Brücke“ für die Lernenden zu universitären Lernwelten. Ebenso stellt die Betrachtung aller drei Perspektiven – Opfer, Täter, „stille Helden“ – einen umfassenden, neuen Ansatz eines Geschichtsbewusstseins dar, welcher durch die Multiperspektivität Handlungsmuster und Zusammenhänge zu analysieren vermag und somit Grundlage kritischer Reflektion der Gegenwart sein kann. Gerade letztgenannte Aspekte des Projekts sind eng mit europäischen Leitgedanken und der gemeinsamen Erinnerungskultur zwischen Deutschland und Polen verknüpft.
Das gesamte Projekt wird durch einen Blog in Kooperation mit hiesigen Medien begleitet und somit einer breiten Öffentlichkeit zugänglich gemacht.

von

Dr. Ingo Harms (Universität Oldenburg), René Lanfer (NGW), Dr. Wiebke Endres (NGW)

Ort

Wilhelmshaven

Projektträger

Stadt Wilhelmshaven